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Ein Blick in die Zukunft

Kristallkugel 2

Obwohl abzuwarten bleibt, was genau passieren wird, möchte ich kurz den Fokus auf die ‚Neuerungen‘ bei der gegenwärtig laufenden und wahrscheinlich bis 2027 andauernden Umstellung von ICD 10 auf ICD 11 hinweisen. Zwar liegt der neue ‚Katalog‘ bereits vor und ist seit 2022 in Kraft, wird aber voraussichtlich seitdem noch für mindestens 5 Jahre‘ korrekt übersetzt und implementiert. Dies betrifft bei abweichenden Sprachversionen die korrekte semantische Einordnung, sowie das überarbeitete Kodierungssystem, welches erhöhte Anforderungen an die verwendeten Softwaresysteme stellt.

Gegenübergestellt sehen die Veränderungen wie folgt aus:

ICD-11

ICD-10

Die Diagnose erfordert, dass 2 oder mehr der 3 zentralen Kriterien über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten bestehen, kann aber auch gestellt werden, wenn die Substanz mindestens einen Monat kontinuierlich (täglich oder fast täglich) konsumiert wird.

Um die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms stellen zu können, müssen 3 oder mehr Kriterien mindestens einen Monat lang gleichzeitig oder wiederholt innerhalb von 12 Monaten vorhanden sein.

Erstens: Beeinträchtigte Kontrolle über den Substanzkonsum – Bezogen auf Beginn, Menge und Umstände oder Ende des Konsums. Wird oft, aber nicht notwendigerweise von subjektiven Empfindungen von Drang oder Verlangen, die Substanz zu konsumieren, begleitet.

Erstens: Ein starkes Verlangen („craving“) oder eine Art Zwang, die Substanzen zu konsumieren.

Zweitens: Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d. h. über Beginn, Beendigung oder die Menge des Konsums, deutlich daran, dass oft mehr von der Substanz oder über einen längeren Zeitraum konsumiert wird als geplant, oder an dem anhaltenden Wunsch oder an erfolglosen Versuchen, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren.

Zweitens: Physiologische Merkmale (indikativ für substanzbezogene Neuroadaption) manifestiert sich als:

(i) Toleranz,
(ii) Entzugserscheinungen nach Konsum - Stopp oder Reduktion oder
(iii) wiederholter Konsum der Substanz, um Entzugserscheinungen zu mindern oder zu verhindern.

Entzugserscheinungen müssen dem Entzugssyndrom der Substanz entsprechen und sind nicht auf anhaltende Substanzeffekte zurückzuführen.

Drittens: Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen der Substanz. Für eine Intoxikation oder um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen größere Mengen der Substanz konsumiert werden, oder es treten bei fortgesetztem Konsum derselben Menge deutlich geringere Effekte auf.

Viertens: Ein körperliches Entzugssyndrom, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.

Drittens: Substanzkonsum wird fortschreitend zur Priorität im Leben, das bedeutet, dass die Substanz Vorrang über andere Interessen, Vergnügungen, alltägliche Aktivitäten, Verpflichtungen oder der Gesundheitspflege oder persönlichen Pflege erhält. Der Substanzkonsum nimmt zunehmend eine zentrale Rolle im Leben der Person ein und verschiebt andere Aspekte des Lebens in die Peripherie und wird oft trotz des Auftretens von Problemen fortgeführt.

Fünftens: Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügungen oder Interessensbereiche wegen des Substanzgebrauchs; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die Substanz zu bekommen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen.

Sechstens: Anhaltender Konsum trotz eindeutiger schädlicher Folgen, deutlich an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der Betreffende sich über Art und Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte.

schattenmann hinter einer matrix

Shadow Talk

Vorbehaltlich von einigen noch zu erwartenden kleineren Anpassungen stellt sich die Umstellung, wie folgt dar:

Aus Einzelsymptomen werden Doppelsymptome.

Aus der Regel 3/6 wird prinzipiell eine 2/3 Regel. Berücksichtigt man, dass nur einzelne Kriterien innerhalb der Doppelsymptome hinreichend erfüllt sein müssen, dann wird sich die Anzahl der Diagnosen erhöhen müssen.

Obwohl diese Neuerungen für mich und meine Arbeit keine Rolle spielen, engt sie jedoch den Raum für Abhängige wesentlich ein und wird einen Aktionismus provozieren, mit welchem das Gesundheitssystem und die Wirtschaft umzugehen haben.

Es wird über kurz oder lang zunehmend schwieriger werden, bestimmte Konstrukte aufrecht zu erhalten und sich weiter, wie bisher, durch das Leben zu lügen.

Auf der anderen Seite könnten Unternehmen sich verstärkt gezwungen sehen, präventive Maßnahmen zu forcieren, um ihr 'Human Capital' langfristig zu schützen.

Dieser Effekt wird sich nicht auf bestimmte Substanzen begrenzen lassen.

Abschließend möchte ich hier auch darauf hinweisen, dass eine derartige semantische Öffnung der Formulierungen, Tür und Tor für Zwangsmaßnahmen öffnen. Diesen wird man sich, möglicher Weise, nicht entziehen können, da die Verschiebung der Selbstkontrolle billigend in Kauf genommen wurde.

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